Sexualpädagogik
Beschreibung
- Was hat Sexualpädagogik mit Sozialpädagogik zu tun?
Sexualpädagogik als Teildisziplin der Erziehungswissenschaft hat die Erforschung sexueller Sozialisation sowie praktischer Sexualerziehung zum Gegenstand. Traditionell bezieht sie sich auf Kinder und Jugendliche, zunehmend als Sexual-andragogik bzw. -geragogik auch auf Lebensphasen des Erwachsenenalters. Da Sexualpädagogik bisher vornehmlich angesichts gesellschaftlich relevanter Sozialisationskonflikte wahrgenommen und thematisiert wurde (unerwünschte Schwangerschaften, deviantes Sexualverhalten, Aids, sexueller Missbrauch etc.) entwickelten sich erste Forschungsanstrengungen und Konzepte im Kontext einer präventiv verstandenen Sozialpädagogik. Neben der schulischen Sexualaufklärung gehört der umfassendere Sektor der Sexualerziehung und Sexualberatung, Schwangerschafts- und Schwangerschaftskonfliktberatung sowie Familienplanung immer noch zu den Handlungsfeldern der Sozialpädagogik. Möglicherweise entwickelt sich die Sexualpädagogik zukünftig ähnlich wie die Vorschulerziehung zu einer eigenen Disziplin der Erziehungswissenschaft mit eigenständigen Gegenstandsbereichen. - Wie ist Sexualpädagogik gesellschaftlich und wissenschaftlich verankert?
Sexualerziehung ist als explizite Aufgabe von Bund und Ländern im Schwangeren- und Familienhilfegesetz sowie als Aufgabe der Schulen in Landesschulgesetzen festgeschrieben. Auf Bundesebene vergibt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Forschungsaufträge, entwickelt Konzepte und Materialien. Pro Familia leistet (neben anderen Wohlfahrtsverbänden) praktische Aufklärungs- und Beratungsarbeit. Als bundesweites Fortbildungsinstitut arbeitet das Institut für Sexualpädagogik Dortmund (ISP) und als Fachgesellschaft die Gesellschaft für Sexualpädagogik (GSP).
An wissenschaftlichen Hochschulen wird Sexualpädagogik bisher von einigen wenigen Vertreterinnen und Vertretern der Sozial-, Schul- oder Religionspädagogik, der Psychologie und Sexualmedizin gelehrt. Nur an der Fachhochschule Merseburg sowie der Universität Innsbruck und der Hochschule für Soziale Arbeit Luzern existieren eigene Studiengänge bzw. umfangreichere Studienmodule für Sexualpädagogik und Sexualberatung. - Was leistet die Abteilung Sozialpädagogik in Kiel zur Erforschung und Weiterentwicklung der Sexualpädagogik?
1994 - 1997: existierte im Institut für Pädagogik unter Leitung von Prof. Dr. Uwe Sielert ein Bund-Länder-Modellprojekt "Sexualpädagogik in der universitären Ausbildung" mit dem Auftrag, ein Ausbildungscurriculums für Pädagoginnen und Pädagogen zu entwickeln. Das Projekt gab wichtige Impulse für die Ausbreitung und fachliche Fundierung von Sexualpädagogik in Schleswig-Holstein, wesentliche Ergebnisse dieses Projekts wurden im Rahmen des Diploms als Wahlpflichtfachangebot umgesetzt und konnten in spezifische Studiengänge anderer Hochschulen einfließen.
In den Jahren 1997 - 1999 evaluierte eine Arbeitsgruppe der Abteilung unter Leitung von Prof. Dr. Uwe Sielert im Auftrag der BZgA das Modellprojekt "Sexualpädagogik in Fachschulen und Berufsfachschulen für Sozialpädagogik"
Drei Dissertationen entstanden im Kontext der sexualpädagogischen Forschungsarbeit der Abteilung: Burchard, Eva: Identität und Studium der Sexualpädagogik. Dissertation Kiel 1998, erschienen bei Peter Lang. Frankfurt a.M. 1999
- Tuider, Elisabeth: Sexualerziehung - Sexualupplysning. Der Geschlechterdiskurs im Spannungsfeld von Kultur und Subjektivität. Ein Länervergleich Östereich und Schweden, Kiel 2000.
- Herrath, Frank: Sexualitätsbezogene Qualifizierung für pädagogische und beraterische Handlungsfelder. Konzeption und Erprobung eines Nachdiplomstudiengangs. Kiel 2003
Folgende Dissertationen und Habilitationen wurden von Prof. Dr. Sielert gutachterlich beurteilt:
- Schmidt, Renate-Berenike: Lebensthema Sexualität. Sexuelle Einstellungs- und Handlungsmuster jüngerer Frauen. Habilitation Bremen, erschienen bei Leske+Budrich 2003
- Timmermanns, Stefan: Mit anderen Augen sehen. Evaluation schwul-lesbischer Aufklärungsprojekte in Schulen. Dissertation Köln 2003
Veröffentlichungen
Bücher
- Sielert, Uwe und Herrath, Frank (Hg): Jugendsexualität zwischen Lust und Gewalt. 28O S., Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1990
- Sielert Uwe: Sexualerziehung - Konzeption und didaktische Hilfen für die Aus- und Fortbildung . 186 S., Beltz-Verlag, Weinheim 1992
- Sielert, Uwe und Keil, Siegfried (Hrsg.): Sexualpädagogische Materialien für die Jugendarbeit in Freizeit und Schule. 36O S. Beltz-Weinheim 1993
- Sielert, Uwe und Valtl, Karlheinz (Hrsg.): Sexualpädagogik lehren: Didaktische Grundlagen und Materialien für die Aus- und Fortbildung. Weinheim 2000
- Timmermanns, Stefan, Tuider, Elisabeth und Sielert, Uwe: Sexualpädagogik weiter denken. Juventa, Weinheim 2003
Beiträge in Sammelbänden
- Besinnung auf Moralität als Verhaltensprinzip: Jugend und Sexualmoral, in: B. Müller und H.Thirsch (Hg.), Gerechtigkeit und Selbstverwirklichung, Lambertus, Freiburg i.Br. 199O
- Moralität und pluralistische Gesellschaft, in:Sexualität im Wertepluralismus - Perspektiven zur Überwindung der Krise der ethischen Bildung, h.g. v. H.G.Ziebertz,Mainz 1991, 14 S.
- Jungen und sexuelle Identität - Erste Annäherungen an ein widersprüchliches Thema. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Dokumentation der 1. Europäischen Fachtagung zur Sexualaufklärung. Köln 1995
- Homosexualität und Sexualpädagogik . In: Dimpker, Susanne (Hrsg.): Sexualethische Konkretionen, Marburg 1995
- Sielert, Uwe, Bültmann, Gabriele, Munding, Reinhold: Geschlechtsspezifische Sexualpädagogik in der außerschulischen Jugendarbeit im Land NRW. In: Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, 6. Jugendbericht.1995 S. 491 - 553
- Jungensexualität und Sexualpädagogik mit Jungen. In: Möller, Kurt (Hrsg.): Nur Macher und Macho? Geschelchtsreflektierende Jungen- und Männerarbeit. Juventa-Verlag, Weinheim und München 1997
- Was hält die Sexualpädagogik von der Sexualwissenschaft? In: Deutsche Gesellschaft für Sexualwissenschaft (Hrsg.): Leipziger Texte zur Sexualität. Heft 9, S.31-47
- Sexualerziehung - Sexualberatung - Schwangerschaftskonfliktberatung. In: Chassé, Karl August, von Wensierski, Hans-Jürgen: Praxisfelder der Sozialen Arbeit. Juventa-Verlag, Weinheim 2002. S. 341 - 352
Aufsätze in Zeitschriften
- Die erotischen Gravitationsverhältnisse im pädagogischen Alltag. In: Der pädagogische Blick. 2/1995, S. 79 - 89.
- Jungensexualität - Mädchensexualität. In: Pro Jugend, 3/1993, S. 5 - 10
Handbuchartikel
- Artikel über "Zärtlichkeit" und "Heterosexualität" im Lexikon der Sexualität, hg. v. S.R.Dunde, Deutscher Studienverlag, Weinheim, 1991
- Artikel über "Sexualberatung mit Jugendlichen zum Thema AIDS", in: Beratungsführer zu AIDS, hg. v. S.R.Dunde, Hippokrates Verlag, Stuttgart, 1991
- Sexualpädagogik. Stichwort im Lexikon für Theologie und Kirche. 1997
- Geschlechtsspezifische Erziehung sowie Sexualerziehung und Sexualpädagogik. Stichworte im Pädagogik-Lexikon hg. v. Reinhold, Pollak und Heim. Oldenbourg-Verlag, München 1999. S. 231 - 235
Unveröffentlichte Forschungsberichte
- Sexualpädagogische Aus- und Fortbildung in der Bundesrepublik Deutschland. Expertise zus. mit I.Philipps. I.A. der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Köln 1994
- Sielert, Uwe, Herrath, Frank: Abschluß- und Evaluationsbericht des BLK-Modellprojekts "Sexualpädagogik in der Hochschulausbildung - Entwicklung und Erprobung eines interdisziplinären Curriculums für wissenschaftliche Hochschulen, Kiel 1998
- Sielert, Uwe, Osbar, Christian und Specht, Ralf: Abschlußbericht des Modellprojekts "Situationsanalyse zur Sexualpädagogik in den Fachschulen für Sozialpädagogik und Berufsfachschulen in Schleswig-Holstein. Kiel 1996, 86 Seiten.
- Sielert, Uwe, Grenz, Wilfried und Bischoff, Sandra: Situationsanalyse "Gleichgeschlechtliche Lebensformen in Schleswig-Holstein". Ministerium für Jugend, Familie Frauen des Landes Schleswig-Holstein, Kiel 1998
- Abschlußbericht Berufsfeldanalyse der Einrichtungen des Landesverbandes PRO FAMILIA Schleswig-Holstein Kiel 1996
Studienprojekte
Lehr-Forschungsprojekt: „Evaluation des Weiterbildungsstudiengangs „Schulsozialarbeit“
Wissenschaftliche Evaluation, Coaching und Fortbildungen im Bereich von Schulsozialarbeit.
An der Abteilung Sozialpädagogik wird seit 2012 ein Weiterbildungsstudiengang „Schulsozialarbeit“ angeboten, der laufend optimiert wird. In einem Evaluationsprojekt wurde der erste Durchgang der Teilnehmenden eingangs befragt und der gruppendynamische Prozess der einzelnen Weiterbildungsbausteine evaluativ begleitet. Zwischenergebnisse der Evaluation werden an die Veranstalter/innen weitergegeben, um die Konzeption im Sinne einer „rollenden Reform“ zu verbessern.
Projekt: Schulsozialarbeit im Flensburger Norden
(Status: abgeschlossen)
In der Zeit vom 01. März 2008 bis 30.Juni 2012 wurde das Projekt durch wissenschaftliche Evaluation, Coaching und Fortbildungen im Bereich von Schulsozialarbeit begleitet.
Das Projekt „Schulsozialarbeit im Flensburger Norden“ wurde durch das Bund-Länder-Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die Soziale Stadt“ gefördert.
Ein Ergebnis der Studien war die Verstetigung und Ausweitung von Schulsozialarbeiter/innenstellen an allen Schulen Flensburgs.
Projekt: Kooperative Selbstevaluation der Ganztagsschulen in Schleswig-Holstein
(Status: abgeschlossen)
Ergebnis: Arbeitshilfe zur (Selbst-)Evaluation von Ganztagsschulen – „Impulse für Qualität – Der Blick in den Spiegel. Materialien zur Kooperativen Qualitätsentwicklung in Ganztagsschulen. Ein gemeinsames Projekt des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Familien und Jugend und der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ SH. (2008) Zu beziehen bei der Serviceagentur, ansässig im IQSH Kiel-Kronshagen.
Professionalisierung: "Diplompädagoginnen und Diplompädagogen in der Risikogesellschaft"
(Status: abgeschlossen)
Beschreibung
Das Projekt begann mit der Frage: "welche Auswirkungen hat der gesellschaftliche Wandel in der Spätmoderne für den Diplomstudiengang Erziehungswissenschaft und die Profession der Diplompädagoginnen und Diplompädagogen?" Bemerkenswert an der selbstgestellten Aufgabe und der Arbeitsweise des Projekts ist die Verknüpfung sehr unterschiedlicher, auch an der Hochschule zumeist getrennt angebotener Lehrinhalte und Methoden. So ist es gelungen, die konventionelle Form eines Theorie- und Grundlagenseminars um Elemente des Projektmanagements und Aspekte fachjournalistischer Arbeit bis hin zur konkreten Erstellung einer Broschüre zu erweitern. In einer für die berufliche Realität nicht untypischen Zweigleisigkeit von theoretischer Aneignung und praktischer Umsetzung spielten arbeitsteilige, eigenverantwortliche und kollektive Arbeitsprozesse eine gleichermaßen wichtige Rolle.
Der die Broschüre einleitende Essey "Was müssen Menschen heute alles lernen und wie kann Pädagogik ihnen zur Seite stehen?" (S.6) steckt den Rahmen unserer Diskussion ab, indem er die kategorialen Zugänge benennt und zugleich Fragen aufwirft, an die die folgenden Artikel anknüpfen:
- Was das Studium leistet und wie es für die Entwicklung der persönlichen und beruflichen Identität genutzt werden kann (S.9)
- Warum ist ein wissenschaftliches Studium so wichtig für die außerschulische Pädagogik? (S. 14)
- Aktive Professionalisierung: Wie sich Studium und Beruf im Laufe der 30-jährigen Professionalisierungsgeschichte entwickelt haben (S. 17)
- Diplom-Pädagoge/Diplom-Pädagogin - Ein Zukunftsberuf der Risikogesellschaft (S. 21)
- Was in Kiel alles angeboten wird (S. 24)
Veröffentlichung
- Erziehungswissenschaftliche Projektgruppe: Der erziehungswissenschaftliche Diplomstudiengang in der Risikogesellschaft. Eine Informationsbroschüre. Kiel 2001; Die Broschüre ist erhältlich im Sekretariat der Abteilung Sozialpädagogik.
Lebensweisen und Diversity-Lernen
(Status: abgeschlossen)
Beschreibung
Die Genese der Forschungsfrage(n) geschah im lebendigen Dialog der Studiengruppe und begann mit der zum Teil theoretisch, zum Teil auch persönlich motivierten Frage nach den jeweiligen Vor- und Nachteilen bestimmter Lebensformen und gelangte schließlich zu dem komplexen Konstrukt der Einbettung und Entwicklung von Lebensformen im biografischen Kontext eines mehr oder weniger ausgeprägten Umgangs mit Vielfalt und Verschiedenheit, des von uns sogenannten Diversity-Lernens.
Die Vorstellung eines statisch bilanzierenden Abwägens verschiedener Lebensformen mit ihren Vor- und Nachteilen für postmoderne Lebensweisen wurde durch intergenerative Selbstexploration der Studiengruppe und die ersten Gespräche mit Bekannten über ihre Lebensformbiografie relativ schnell aufgegeben zugunsten eines prozesshaften und kontextbezogenen Blicks auf die jeweiligen Entwicklungsstadien eines je individuellen Lebenslaufs.
Das systematische Bearbeiten der ersten narrativen Interviews führte in der Forschungsgruppe zu einer Denkbewegung, die gekennzeichnet werden kann als ein Hin-und-Herpendeln zwischen Interpretationsmustern, die aus sozialwissenschaftlichen Bezugstheorien generiert wurden und dem möglichst voraussetzungslosen Verstehen einer jeweils einmaligen Identitätserzählung aus sich selbst heraus. Jedes theoretische Konstrukt drohte das ganz individuelle Sinnverstehen einer inteviewten Person zu kolonisieren, andererseits drängten sich den Interpretierenden auch angesichts der ganz einmaligen und vieldeutigen Lebensläufe vielfältige Deutungen auf und vor allem der Wunsch, Vergleiche anzustellen. Und das nicht nur zwischen den inteviewten Personen selbst, sondern auch zwischen sich selbst als subjektiv betroffener Forscherpersönlichkeit und den zu interpretierenden erzählten Lebensläufen.
Vielfältige Fragen und Hypothesen entstanden während der schrittweisen Besprechung der transkribierten Interviews und drängten nach möglichst einsichtigen Erklärungen:
- Wie tief sitzen die Beziehungsmuster der Eltern im Beziehungshabitus der Kinder?
- Gibt es überhaupt einen solchen relativ konsistenten Lebensweisenverlauf, mit dem ein Beziehungshabitus identifiziert werden könnte?
- Wie abhängig ist die jeweilige Wahl der Lebensform von dem Druck der familiären oder kulturellen Umgebung?
- In welchem Verhältnis steht der Wechsel von und die Wahl sogenannter nichtkonventioneller Lebensformen zum Selbstkonzept und Selbstwertgefühl einer Person
- Welche Rolle spielt die Sexualität bei der Aufrechterhaltung oder dem Wechsel der Lebensform? Was passiert in den Übergängen genau und wie werden Krisen bewältigt?
- Ändert sich bzw stablisiert sich die Lebensform, wenn Kinder ins Spiel kommen und welche geschlechtsspezifischen Unterschiede sind zu beobachten?
- Welche Rolle spielen die materiellen Bedingungen, insgesamt die äußeren Rahmenbedingungen bei der Entscheidung für eine bestimmte Form des Zusammenlebens?
Insgesamt: Wie hängen Lebensform, Lebensweise und sozio-ökonomische Umweltbedingungen zusammen?
Und hinter allem stand die pädagogisch relevante Frage, wie Menschen bei der Gestaltung ihrer Biografie einschließlich ihrer Lebensform begleitet werden können. Sind Vorbereitung und Begleitung überhaupt möglich und nötig?